Attac

Die Rede für attac hielt Judith Amler

Servus liebe Rosenheimer*innen,
Attac ist ein globalisierungskritisches Netzwerk, das sich weltweit für ein Ende der neoliberalen Agenda einsetzt, in der Konzerninteressen über die Bedürfnisse von Mensch und Natur gestellt werden. Als globales Netzwerk hat Attac nicht nur Mitglieder in Deutschland und Europa, sondern z.B. auch in Ländern Lateinamerikas und Afrikas. Wir setzen uns ein für eine lebendige Demokratie, die allen Menschen dient, und in diesem Zusammenhang kämpfen wir auch entschieden gegen jede Form der Diskriminierung von Minderheiten und vor allem
gegen Rassismus!
In diesem Sinne möchte ich über Verantwortung sprechen. Als Bürger*innen einer der reichsten Volkswirtschaften der Erde, aber auch einfach als Menschen mit Herz und Verstand, haben wir Verantwortung: Wir haben zuallererst, und die heute ganz konkret gefragte Verantwortung, Flüchtlingen, die bei uns Schutz vor Krieg, vor Verfolgung und vor Elend suchen, zu helfen und sie wo es geht zu unterstützen. Da können wir als Bürger*innen ganz viel tun.1 Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht, das sowohl in der Allgemeinen Men-
schenrechtserklärung als auch in unserem Grundgesetz verankert ist – das Gebot der Nächstenliebe trifft jeden von uns persönlich!
Wir haben aber auch die Verantwortung für Fluchtursachen: Die Bundesregierung und die EU predigen spätestens seit zweien der schlimmsten Flüchtlingskatastrophen, bei denen im April dieses Jahres binnen zweier Wochen viele Hundert Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, dass wir die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen müssten. Und was machen diese Institutionen? Sie versenken Boote, auf denen Menschen flüchten könnten und machen die Grenzen der Festung Europas dicht. Und dann? Ausschnitte:
• Im SPIEGEL von vor zwei Wochen schreibt Jakob Augstein, dass „die Rüstungsexporte […] in der ersten Jahreshälfte [2015] bereits annähernd den Gesamtwert des Vorjahres erreicht [haben]. Spürpanzer nach Kuwait, Militärfahrzeuge nach Algerien, noch ein U-Boot für Israel – geht alles. Außerdem in der Kundenkartei: Ägypten, Syrien, Katar, Oman, Saudi-Arabien.“2 Ja, Syrien: „Kaum ein Kriegs- oder Krisengebiet ohne deutsche Ausrüstung“, stellt Augstein fest. Weiter zu den Fluchtursachen:
• „Es geht kommt nicht darauf an, den Menschen der sogenannten Dritten Welt mehr zu geben, sondern ihnen weniger zu stehlen“, schrieb der Soziologe Jean Ziegler in seinem Buch „Das Imperium der Schande“3. Klaus Töpfer, unserer früher Umweltminister, kritisiert seit mehr als einem Jahrzehnt die „ökologische Aggression“4 gegen die Ärmsten der Armen dieser Welt; das Rote Kreuz ging schon 2007 davon aus, dass zum Ende des Jahrzehnts, also 2010, 50 Millionen Umweltflüchtlinge in der Welt unterwegs sein werden5; dies unter
anderem, weil die reichen Länder dieser Erde keinen Weg finden, wie wir schonend und nachhaltig mit Ressourcen vor Ort wirtschaften können, ohne die Natur wie wir sie kennen in relativ kurzer Zeit und weltweit unwiederbringlich zu zerstören. „Die Auslandsverschuldung der armen Länder ist zu einem Kontrollinstrument geworden, das gleiche gilt aber nicht für die ökologische Schuld“ der reichen Länder, sagt Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si`“6.
• Seit Jahren setzt die EU ihre ehemaligen Kolonien unter massiven Druck, endlich sog. Freihandelsabkommen zu unterzeichnen; man droht ihnen, dass sie ansonsten den Zugang zu unseren Märkten verlieren würden. Es geht um sog. EPAs, „Economic Partnership Agreements“ (übrigens Vorläufer der momentan mit den USA und Kanada verhandelten Abkommen TTIP und CETA). Welch ein verlogener Begriff: „Partnerschaftsabkommen“! Es geht um nackte materielle Vorteile für die EU-Staaten – Verlierer sind abermals
die Entwicklungsländer: EPAs beinhalten, dass die Länder Afrikas, der Karibik und im Pazifik
– ihre Importzölle für europäische Waren abschaffen. Diese Länder brauchen die Zölle jedoch – sie stellen einen bedeutenden Teil ihres Staatseinkommens dar, mit dem sie z.B. Maßnahmen im Bereich Gesundheitsfürsorge und Bildung finanzieren.
– Durch die Abkommen soll es den europäischen Konzernen außerdem erleichtert werden, ihre hochsubventionierten Agrarprodukten und Lebensmittelreste in Afrika zu verkaufen. Damit wird die Existenz zahlloser Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vernichtet, wir zerstören regionale Wirtschaftszweige und entsenden die Ärmsten der Welt in eine Abhängigkeit von den Waren und der Preispolitik unserer Großkonzerne.
– Alle 5 Sekunden stirbt ein Kind, fast jedes zweite davon an den Folgen des Hungers, und das, obwohl die Landwirtschaft der Welt auf ihrem heutigen Niveau ohne Weiteres 12 Milliarden Menschen ernähren könnte.7 Und gleichzeitig weigert sich die Europäische Union, die katastrophalen Auswirkungen der von ihr erzwungenen Freihandelsabkommen auf die einheimische Wirtschaft der Drittweltländer zu kompensieren oder wenigstens abzumildern!
Das alles (wohlgemerkt nur ein Ausschnitt zur europäischen und deutschen Handelspolitik),das alles also sollen wir also als eine Bekämpfung von Fluchtursachen verstehen? Es geht nicht: Diese Art von Handelspolitik beseitigt keine Fluchtursachen, sie ist wesentlicher Teil der Ursachen! Wir müssen uns damit befassen, warum Menschen flüchten müssen. Ich sage: „Müssen!“ Keiner geht gerne von daheim weg, ohne klare Perspektive und mit der sicheren Aussicht auf einen gefährlichen Weg, der die Flüchtenden in Tausenden von Fällen das Leben kostet! Und dennoch tragen wir als Wähler*innen in Europa eine Politik mit, die Menschen weltweit in so große Verzweiflung stürzt, dass sie lieber ihr Leben auf der Flucht riskieren, als daheim überhaupt keine Perspektive mehr zu haben.
Letztlich haben wir, nicht nur vor diesem Hintergrund, mindestens auch alle die Verantwortung, den Mund aufzumachen und Nazis klar zu sagen, dass ihre dumpfe Propaganda, die das Menschenrecht auf Asyl in Abrede stellt, nicht erwünscht ist, dass sie mit ihrem Hass und ihrer Dummheit zu Hause bleiben und sich schämen sollen!
Bitte, liebe Rosenheimer*innen, seid keine „besorgten“ Bürger*innen. Seid informierte Bürger*innen – und vor allem: Seid Bürger*innen mit Herz! Engagiert Euch in der Hilfe für Flüchtlinge, engagiert Euch in NGOs, politisch, gesellschaftlich und sozial. Und wenn Ihr für all das nicht genug Zeit haben solltet: Sagt mindestens so wie heute ganz laut und immer wieder: NEIN zu Rassismus, NEIN zu Herzlosigkeit und JA zu einer Verantwortung aus Nächstenliebe!
Danke, dass Ihr da seid! Habt ein tolles Herbstfest, ohne Nazis und ohne Hetzer*innen!

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