infogruppe rosenheim

Redebeitrag der infogruppe rosenheim:

Es fliegen wieder Brandsätze auf deutsche Flüchtlingsunterkünfte. Steine Flaschen und Beschimpfungen treffen Menschen, die aus zerstörten Ländern und Regionen dieser Welt fliehen. In einen Kontinent, der für die Krisen des arabischen Raumes, Afrikas und Asiens zu großen Teilen verantwortlich ist. In ein Land, das Waffen in Krisengebiete exportiert und durch Nahrungsmittelspekulation Menschen in den Hungertod treibt. In ein Land das eines der reichsten ist weltweit und trotz seiner Mitverantwortung für Fluchtursachen nur 0,37 Prozent der weltweiten Flüchtlinge Asyl gewährt. Fast täglich kommt es inzwischen zu Angriffen auf Einrichtungen für asylsuchende Menschen.

Wenn syrische Kriegsflüchtlinge mit Messern angegriffen werden, wenn vor sächsischen Einrichtungen Menschenmengen „wir wollen euch hängen sehen“ skandieren dann schafft das auch Klarheit darüber, dass rassistische und nationalistische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung verbreiteter und verwurzelter sind, als es den Anschein macht. Es gilt hierbei vor allem, die gesellschaftlichen Ursprünge des deutschen Patriotismus – und Nationalismus zu verstehen uns sie seinen Protagonist_innen vor Augen zu führen. Es gilt klar zu machen, warum gerade der deutsche Nationalismus so aggressiv auftritt und wer von ihm profitiert.

Ein kurzer Rückblick:

Die französische Besatzung nach dem Napoleon-Feldzug Ende des 18. Jahrhunderts und die damit verbundene finanzielle Belastung hatten eine neue politische Kraft geweckt: Den deutschen Nationalismus. Die Logik war denkbar einfach: Ein loser Zusammenschluss von Fürstentümern und Königreichen hatte einem militärischen Gegner weit weniger entgegenzusetzen als eine in sich geschlossene Nation mit einheitlicher Armee. Das hatte gerade Frankreich blutig bewiesen.

Der deutsche Nationalismus entstand also aus einer militärischen Abwehrhaltung heraus und nicht wie in Frankreich, den USA oder England durch den Kampf für Modernisierung und Menschenrechte. Vielleicht war der deutschnationale Gedanke in den Jahrzehnten darauf gerade wegen dieser antifranzösischen Ausrichtung, zunehmend fortschrittsfeindlich geprägt. Auf diese Tatsache weist zumindest viel hin. In Teilen Europas, vor allem aber im deutschsprachigen Raum entstand, aufbauend auf den antinapoleonischen Befreiungskriegen, der Nationalismus als Produkt der „Gegenaufklärung“, so hat zumindest hat der israelische Ideenhistoriker Zeev Sternhell die deutsche Nationalbewegung einmal bezeichnet.

Ideengeschichtlich zieht sich also seit Anfang des 19. Jahrhunderts ein tiefer Graben durch Europa. Auf der einen Seite der progressive Nationalismus Frankreichs, in dem die Nation eine plurale Willensgemeinschaft darstellt. Auf der anderen Seite der deutsche Nationalismus, der die Nation als Schicksalsgemeinschaft ansieht und in dem weniger das Bekenntnis zu einer gemeinsamen Verfassung zählt als die ethnische Zugehörigkeit. Dieser ideengeschichtliche Graben wird sich im Laufe der weiteren Geschichte noch mit Blut füllen. Die deutsche Trennung des Nationalismus von seinen liberalen Wurzeln, die spätestens unter Bismarck endgültig vollzogen wurde ebnet den Boden für zwei Weltkriege, es ist der erste Schritt in Richtung Hitler.

Natürlich liegen der Entstehung der deutschen Nation aber auch ökonomische Triebkräfte zugrunde, die in den Geschichtsbücher nur allzu oft losgelöst von ihren politischen Auswirkungen erläutert werden. Als da wären: Die Entstehung des Kapitalismus und die Industrielle Revolution. Der zeitliche Zusammenfall dieser wirtschaftlichen Umwälzungen und der Entstehung des deutschen Nationalstaates ist kein Zufall. Im Gegenteil! Die immer größer werdenden Fabrikhallen und der florierende Handel verlangten nach einem neuen politischen Rahmen. Und wenn Königreiche und Fürstentümer die politische Ausdrucksform der feudalistischen Wirtschaft waren, so ist die nationale, bürgerliche Form der Gesellschaft nur der notwendige Überbau der kapitalistischen Wirtschaft. Denn auf den sich ausdehnende Handel und die Finanzströme wirkten die Fürstentümer mit ihren Zöllen und Handelsbeschränkungen wie ein Korsett. Mit der Schaffung der deutschen deutschen Nation befreite sich das Kapital von diesen Fesseln.

Wenn die Geschichte, wie Karl Marx sagt, eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, dann ist es die bürgerliche Klasse, die Klasse der Kapitalisten, die mit dem Nationalstaat einen Sieg über den Feudaladel errungen hat. Alle Freiheiten, die aus dem bürgerlichen Nationalstaat für die arbeitenden Klassen hervorgingen waren nur Nebenprodukt dieser Umwälzung. Und so war es auch nicht der Durchschnitt der Bevölkerung, der von der Schaffung der deutschen Nation profitierte.

Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Nation hat für den Kapitalismus und seinen Staat große Bedeutung, für größte Teile der Bevölkerung aber dient sie nur als Ablenkungsmanöver: Der Kapitalismus ist eine Gesellschaftsordnung, in der wenige fast alles besitzen. Einschließlich der Produktionsmittel, die der demokratischen Kontrolle durch die Bevölkerung entzogen wurden. Und nun braucht es eine Ideologie die diese mordende Ordnung legitimiert. Und genau so, wie es Gott war, der für die Herrschaft der Kirche im Mittelalter herhalten musste, so ist es das Konstrukt der nationalen Zugehörigkeit, das als Legitimation dafür herhalten soll, dass dem Großteil der Bevölkerung die demokratische Kontrolle über Ressourcen und Produktion versagt wird.

Die Nation ist also Herrschaftsideologie des Kapitalismus. Ob Hartz-4-Empfängerin oder Firmenchef, im Fußballstadion sind sie alle gleich: Nämlich deutsch. Das Konstrukt der nationalen Zugehörigkeit schafft es, soziale Ungerechtigkeit zu verwischen. Es ist daher auch kein Zufall, dass sich gerade in Zeiten, in denen Staat und Kapital die Menschen dazu zwingen wollen, den Gürtel enger zu schnallen, besonders positiv auf die deutsche Nation bezogen wird. Wir sind doch alle deutsche, heißt es dann, wenn ein System aufrecht erhalten werden soll, von dem – wenn überhaupt – nur die wenigsten profitieren.

Aus dem Nationalismus heraus entstehen dann auch Ressentiments und Feindbilder. Diese schaffen ein Ventil für die strukturelle Gewalt des Systems. Die Wut richtet sich so nicht gegen die Deutschen, die Produktionsmittel und Millionenvermögen der Gesellschaft vorenthalten. Oder gegen die Deutschen, die uns das ganze als gerecht verkaufen wollen. Sonder gegen die, die aus ärmeren Gebieten nach Deutschland vorzudringen versuchen. Der Nationalismus ist der Blitzableiter der kapitalistischen Systems. Und wir alle sind Teil dieses Systems. Dadurch, dass wir in Konkurrenz zueinander stehen. Dadurch, dass wir die Grenzen, die uns von unseren Kolleg_innen und Freund_innen in anderen Ländern trennen, aufrecht erhalten.

So wie dem politischen nationalstaatlichen Rahmen kapitalistische Triebkräfte zugrunde liegen, so sind es auch ökonomische Gründe, die dafür sorgen, dass der Nationalstaat in den letzten Jahren – man denke an die EU – an Bedeutung eingebüßt hat. Zwar ist auch die EU ein passendes Werkzeug des kapitalistischen Profitstrebens – vor allem für das deutsche und das französische – Kapital. Trotzdem trennt sich die kapitalistische Gesellschaft langsam vom Nationalismus (zur Durchsetzung des Spardiktates in Griechenland war er noch nützlich, in vielen anderen Fragen aber steht er der ökonomischen Entwicklung im weg). Was sich beispielsweise daran zeigt, dass sich die IHK dafür einsetzt, dass es für junge Flüchtlinge in Deutschland einfacher wird, eine Ausbildung zu beginnen. Oder daran, dass die Grenzkontrollen innerhalb der EU in den vergangenen Jahren immer mehr abgebaut wurden. Globalisierung nennt sich dieses Konzept, bei der das Kapital eine Form annimmt, die immer weniger auf Nationen angewiesen ist. Transnationale Konzerne kennen kein Vaterland.

So sehr es aus einer fortschrittlichen Perspektive heraus zu begrüßen ist, wenn Grenzen aufgeweicht werden, auch wenn es nur um der Profite Willen geschieht, so sollte es auch Angst machen. Denn wenn diese Veränderungen auf ein nationales, zurückgebliebenes Bewusstsein prallen, kann das nur in die Hose gehen. In dieser Phase kapitalistischer Modernisierung droht ein Rückfall in den Nationalismus. In Sachsen und anderen Teilen Deutschlands ist das gerade der Fall. Aufgewachsen in nationalen Kategorien weicht der Rahmen, in dem man bisher gedacht hat langsam auf. Diese Angst wird dann auf das Fremde projiziert, das vermeintlich an diesem Rahmen rüttelt: Flüchtlinge.

Die Wiederkehr des Immergleichen: Große Teile der deutschen Bevölkerung verwechseln Wirkung und Ursache. Sie ignorieren die ökonomischen Ursachen, die hinter vermeintlichen politischen Prozessen stecken und machen die Schwächsten in der Gesellschaft für diese Prozesse verantwortlich.

Als antinationale Linke müssen wir genau diese Mechanismen aufdecken und bekämpfen. Wir müssen zeigen, dass es das kapitalistische System ist, das für gesellschaftliche Missstände verantwortlich ist. Das es der Kapitalismus ist, der große Teile der Bevölkerung arm macht und nicht etwa Flüchtlinge. Und wir müssen zeigen, dass unser politischer Gegner nichts mit nationaler Zugehörigkeit zu tun haben kann. Dass nationale Zugehörigkeiten Kategorien sind, die die wirklichen Konflikte verdecken. Lasst uns die Konflikte aufbrechen! Der Hauptfeind steht im eignen Land!

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